Inklusives Wohnprojekt für junge Erwachsene in Kiel

OKTOBER 2021
Nicht immer ist das passende Zuhause eine Frage der Lage, Zimmer oder Miete. Für junge Menschen mit Behinderung zählen ganz andere Dinge – für ihre Eltern auch. Wir sprechen mit Ingrid Bolz vom Verein „Wohnen-wie-ich-will Kiel e. V.“ über die Sorgen pflegender Eltern in Schleswig-Holstein. Und über ihr Pionierprojekt an der Kieler Hörn.

Diesen Herbst wird Ingrid Bolz’ Sohn 22 Jahre alt. Seit seiner Geburt leidet er unter einer körperlichen und geistigen Behinderung. „Das Problem ist, dass es kaum rollstuhlgerechte Wohnangebote für junge Menschen mit Behinderung gibt“, erklärt Ingrid Bolz. Sie ist die Vorsitzende des „Wohnen-wie-ich-will Kiel e. V.“. Die Idee des Vereins: eine inklusive Wohngemeinschaft, bei der die Bewohner*innen entsprechend ihren Bedarfen pflegerische und pädagogische Hilfe erhalten.

Besonders für Menschen mit Behinderung und hohem Betreuungsbedarf gebe es wenig Alternativen zum herkömmlichen (vollstationären) Wohnen, berichtet Ingrid Bolz. Problematisch dabei seien vor allem die teils gravierenden ­Altersunterschiede – von mangelnder Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ganz zu schweigen. „Wir wünschen uns eine Perspektive für unsere Kinder.“ Ein Leben unter Gleichaltrigen ist dabei nur eine Seite der Medaille. „Wer pflegt unsere Kinder, wenn wir älter werden oder nicht mehr da sind?“

Hilfe durch Selbsthilfe

Da entsprechende Angebote in Schleswig-Holstein fehlen, sind junge Erwachsene bisher auf die Gesundheit ihrer Eltern angewiesen. Daher entscheiden sich 2016 zehn Familien zur Selbsthilfe. Ingrid Bolz erinnert sich: „Von Anfang an hatten wir Unter­stützung durch den heutigen Geschäftsführer der Werk- und Betreuungsstätte für Körperbehinderte in Ottendorf, Andreas Borck.“ Vorbilder findet sie in Hamburg, aber auch in der Kieler Ringstraße, wo Menschen mit Behinderung in Einzelapartments leben – ambulanter Pflegedienst im Erd­geschoss inklusive.

GWU offen für neues Wohnkonzept

Der Verein „Wohnen-wie-ich-will Kiel e. V.“ wendet sich an die Stadt Kiel, diese verweist auf das Neubaugebiet an der Hörn – und unsere Genossenschaft. „Unser Kontakt zum GWU war von ­Anfang an konstruktiv und angenehm. Olaf Kühl hat als ­Verantwortlicher alles möglich gemacht, was möglich zu ­machen war.“

GWU-Vorstand Dr. Stephan Seliger: „Die Hilfe zur Selbsthilfe zählt zu den zentralen Anliegen einer Wohnungsgenossenschaft. Alternative Wohnformen zu ermöglichen oder Lebens­welten und Bedürfnisse zu berücksichtigen, die sich vom Gewohnten unterscheiden, gehört ausdrücklich dazu. Dieses Wohnprojekt ermöglicht jungen Erwachsenen mit Behinderung eine altersgerechte Unterbringung und soziale Teilhabe. Wir freuen uns, einen Beitrag zur Inklusion leisten zu können!“

Zusammenleben mit Menschen ohne Behinderung

Neben rollstuhl- und behindertengerechten Räumlichkeiten gewähr­leistet pflegerisches und pädagogisches Fachpersonal die bedarfs­gerechte Unterbringung der Bewohner*innen mit Behinderung. Dazu kommen Gleichaltrige ohne Behinderung. „Ganz gleich, ob Studenten, Azubis oder bereits Berufstätige: Wichtig ist, dass es vom Alter her passt,“ erklärt Ingrid Bolz.

Besondere Fähigkeiten seien nicht gefordert. „Um Pflege und Betreuung kümmert sich der Pflegedienst. Es geht eher um Unterstützung im Alltag: das gemeinsame Kochen, abends beisammensitzen, etwas zusammen unternehmen.“ Dafür ist das Wohnen in der WG nahezu kostenlos. Wer einziehen möchte, kann sich einem Auswahlgremium vorstellen und die Bewohner*innen vorher kennenlernen. Anschließend gibt’s ein Probewohnen. „Ich glaube daran, dass das Angebot gut angenommen wird“, freut sich Ingrid Bolz. „Es ist ein kleines Abenteuer. Und wie bei jedem Abenteuer muss man einfach erst mal anfangen.“