Die Marine, Torpedos und immer mehr Wohnungen

Seit über 100 Jahren werden in Eckernförde Torpedos erprobt. Am 9. Juni 1913 weihte die Kaiserliche Marine den Schießstand ein, als Außenstelle der „Torpedowerkstatt Kiel-Friedrichsort“. Die Verflechtung von Wirtschaft und Militär brachte Eckernförde Wohlstand und Krisen. Unser Rückblick auf ein Miteinander, das bis heute anhält.

Aufstieg im Kaiserreich

Die Eckernförder Bucht, ein bis zu 20 Meter tiefes Gewässer, wurde vor 100 Jahren kaum von der Schifffahrt genutzt: gute Bedingungen für die Erprobung von Torpedos. Als Standort für ihre Anlage wählte die Marine das Gelände am Sandkrug. Es entstanden einige Werkstätten und eine lange Holzbrücke mit dem ersten Schießstand für Torpedos. Der Erste Weltkrieg trieb die Entwicklung der Geschosse entscheidend voran. Der Betrieb wurde schnell größer – und für Eckernförde zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Die Folge: neue Gebäude und immer mehr Mitarbeiter. Im Jahr 1918 waren 6.000 Menschen am Sandkrug beschäftigt.

Fortbestand trotz Abrüstung

Die Niederlage im Ersten Weltkrieg dämpfte das Unterfangen. Der Versailler Vertrag schrieb vor, die Kaiserliche Torpedowerkstatt Kiel-Friedrichsort aufzulösen. Und der angeschlossene Schießstand in Eckernförde? Wurde dabei nicht explizit genannt – also ließ die Reichsregierung die Wartung der Torpedos weiterlaufen.

Ein Jahr später, im Juli 1919, beanspruchte die stark verkleinerte Reichsmarine Gelände und Gebäude wieder ganz für ihre Zwecke. Unter dem neuen Namen „Torpedoversuchsanstalt“ (TVA) lief die militärische Forschungsarbeit erneut an. Und hatte 1923 wieder den vollen Umfang erreicht: In Eckernförde wurde entwickelt, getestet und gefertigt. Allerdings nicht mit der wirtschaftlichen Strahlkraft wie zu Kriegszeiten.

TVA Süd nach Sprengung durch  die britischen Alliierten 1949  (StAE 6674)

Gründung der ersten Genossenschaft

Die Reaktivierung der Torpedowerkstatt im Jahr 1919 war faktisch die Verlagerung von Kiel nach Eckernförde. Fast zeitgleich hatte sich die Gemeinnützige Baugenossenschaft „Eigenheim“ Eckernförde-Sandkrug gegründet. Der Leiter der TVA hatte diesen Schritt angeregt. Die Belegschaft der „TVA Süd“ wuchs stetig, und die Genossenschaft baute in der Siedlung Sandkrug Eigenheime und Wohnungen. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten nahm die wirtschaftliche Bedeutung der TVA für die Hafenstadt Eckernförde wieder zu. Im Zuge der Wiederaufrüstung wurde die Anlage stark erweitert.

Der alte Torpedoschießstand Eckernförde,   1912 und 1913/14 (StAE 1018, 0826)

Kleinstadt wird Großbaustelle

Ab Mitte der 1930er-Jahre entstanden immer mehr militärische Anlagen, Kasernengebäude und Wohnhäuser. Die Kleinstadt Eckernförde hatte sich in eine Großbaustelle verwandelt. Rüstungsbetriebe wuchsen. Etwa die TVA Nord auf der Nord-Seite der Innenförde. Bald folgte die TVA Ost am Ausgang der Eckernförder Bucht. Zusätzliche Arbeitskräfte wurden benötigt, auch von auswärts. Dazu die Angestellten, Offiziere, Ingenieure und Beamte: Sie alle mussten irgendwo wohnen. Die Marine gab große Bauvorhaben in Auftrag.

Werksgelände der TVA Süd, 1939. In der TVA Süd wurde der aus Holz bestehende Schießstand durch eine Betonausführung ersetzt. Er war zur Jahreswende 1935/36 ein-satzbereit (StAE 1072)

Ein Richtfest nach dem anderen

Die zwei örtlichen Wohnungsgenossenschaften – jetzt war auch das GWU „im Boot“ – planten im Auftrag der Kriegsmarine ca. 678 Wohnungen. Zusätzlich entstand 1936/37 die Kaserne Carlshöhe im Nordwesten der Stadt. Überall in Eckernförde flatterten die Bänder der Richtkränze. Trotzdem fehlten Anfang 1939 immer noch rd. 650 Wohnungen. Und der Bedarf stieg rasant weiter. Bei Kriegsbeginn im September 1939 arbeiteten 3.200 Menschen in der TVA – und sechs Monate später bereits doppelt so viele. Eckernförde selbst zählte damals 13.600 Einwohner.

Barackenlager zu Kriegszeiten

Arbeiter und Soldaten mussten untergebracht werden, Barackenlager wurden aus dem Boden gestampft. Bis Ende 1944 entstanden 14 Lager am Stadtrand und einzelne Baracken im Stadtgebiet. Hier waren etwa 4.500 Bedienstete der TVA untergebracht – dazu zahlreiche Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Und die militärische Einrichtung wuchs immer weiter an.

Die Personalstärke im April 1945: 24.404 Mitarbeiter. Die TVA war zum bedeutendsten Arbeitgeber und Wohlstandsfaktor der Stadt geworden. So gut wie alle ansässigen Unternehmen und Dienstleister waren von dieser – rein militärischen – Institution abhängig.

Produktionshalle der TVA Nord, um 1940 (StAE 4225, Foto: Baasch)
TVA Nord, um 1935.  Durch die Aufrüstung der Kriegsmarine wurde 1934 eine komplett neue Anlage, die TVA Nord, errichtet (StAE tva52)

Demontage und Umnutzung

Mit dem Kriegsende kam das Aus für die TVA – eine schwere Belastung für die Wirtschaft in Eckernförde. Im Mai 1945 besetzten englische Truppen die TVA. Die militärische Anlage wurde stillgelegt und umgenutzt: zunächst als Kaserne für englische Soldaten, später für die Unterbringung ehemaliger Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter aus Polen. Dann beschloss die britische Besatzung die Demontage. Proteste der Bevölkerung verklangen unbeachtet. Am 7. Dezember 1948 wurden die ersten Sprengladungen gezündet. Die Zerstörung der TVA dauerte bis Januar 1950. Kleine zivile Handwerksbetriebe nutzen anschließend die verbliebenen Gebäude.

Der 100. Torpedo, 1930 (StAE 0160)

Reaktivierung durch Bundeswehr

1955 wurde die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der NATO, zwei Jahre später reaktivierte die neu aufgestellte Bundeswehr die TVA. Seitdem werden in Eckernförde zwar keine Unterwasserwaffen mehr gebaut, aber erprobt und eingeschossen. Bis heute unterhält die Bundeswehr hier die Wehrtechnische Dienststelle für Schiffe und Marinewaffen, Maritime Technologie und Forschung. Sie ist, neben den kleinen und mittelständischen Betrieben und dem Tourismus, wieder ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Stadt – doch längst nicht mehr der alles dominierende. Und das GWU? Knüpfte bald nach Wiedereröffnung der TVA an die früheren Geschäftskontakte an. Und baute seither wiederholt Wohnungen auch speziell für Bundesbedienstete.

TVA Süd nach dem Wiederaufbau, vor 1975  (StAE 5652)