Das GWU und das deutsche „Wirtschaftswunder“

Der Zweite Weltkrieg und die folgenden Jahre brachten Leid, Not und Entbehrung über ganz Europa. Umso rasanter ging es in den 1950er-Jahren für viele Länder bergauf: In Deutschland verbesserten sich die Wirtschafts- und Lebensverhältnisse erheblich. Auch in Eckernförde nahm der Wohlstand bald zu – und die Wohnungsnot ab. Nicht zuletzt, weil engagierte Siedler selbst die Ärmel hochgekrempelt haben.

Deutschland erlebt „Wirtschaftswunder“

Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zeigte in Deutschland bald Erfolg. Umsiedlungen und Wohnungsbau-Programme sorgten für eine bessere Eingliederung der Flüchtlinge. Die Arbeitslosigkeit ging ab 1950 zurück, bis schließlich Vollbeschäftigung herrschte. Für die rapide wachsende Industrie wurden sogar „Gastarbeiter“ angeworben. Das Bruttoinlandsprodukt stieg von 79 Milliarden DM im Jahr 1949 auf fast 300 Milliarden DM 1960. Der Außenhandel und die Bauwirtschaft boomten. Auch die Wohnungsnot linderte sich spürbar. Besonders benachteiligte Gesellschaftsgruppen erfuhren durch den aufgebauten Sozialstaat Unterstützung. Der schnelle ökonomische Wiederaufstieg Westdeutschlands wurde als „Wirtschaftswunder“ gefeiert.

Wichtiger Arbeitgeber kehrt zurück

Inzwischen war Eckernförde Mittelstadt mit gut 20.000 Einwohnern. Auch hier machte sich, etwas verzögert, der wirtschaftliche Aufschwung bemerkbar. Ein wichtiger Faktor: die neu gegründete Bundeswehr. Ab 1956 zählte das Militär wieder zu den zentralen Arbeitgebern der Stadt. Nach dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik 1955 stationierten Marine, Heer und Luftwaffe verschiedene Ausbildungs- und Kampfeinheiten in der Ostseestadt. 1958/59 baute das GWU in der Doroteen- und Danziger Straße 32 Wohnungen für Angehörige der Bundeswehr. Dafür hatte unsere Genossenschaft ein Jahr zuvor eigens die Satzung geändert: Nun konnten auch Nichtmitglieder – sofern sie zur Bundeswehr gehörten – eine GWU-Wohnung anmieten.

Wohnungen für Unternehmen

Seit 1951 errichtete das GWU auch Wohnungen für Angestellte neu angesiedelter Industriebetriebe. So konnten Mitarbeiter des deutschen Schusswaffenherstellers J.P. Sauer & Sohn A.G. an der Prinzenstraße 30 Wohnungen im Zeilenbau beziehen, 1956 weitere 3 Wohnungen im Krumland. Für die Niederdeutsche Optik eGmbH baute das GWU 30 Wohnungen am Domstag. 1956 zogen Bedienstete der Bitukasandsteinwerk GmbH in 8 neue Wohnungen in Borgstedt. Weiter baute das GWU Wohnungen für Landesbedienstete: 4 Doppelhäuser in der Magaretenstraße (1951) und ein Haus für 10 Familien in der Pillauer Straße (1951).

Immer mehr GWU-Mitglieder haben Autos, wie hier im Cäcilienhof zu sehen

Wohlstand nimmt zu

Mit der Ansiedelung von Bundeswehr und neuen Industriebetrieben kam das Wirtschaftswunder auch in Eckernförde an. Und das in all seinen Facetten: Der zunehmende Wohlstand drückte sich in höheren Ansprüchen und wachsendem Konsum aus. Ab 1965 füllten sich die Auslagen der Geschäfte und so mancher „Wohlstandsbauch“ mit preislich erschwinglichen Delikatessen: gute Butter, echter Bohnenkaffee oder Whisky „Racke Rauchzart“. Der Verkehr nahm zu, weil immer mehr Menschen stolze Besitzer eines eigenen Autos wurden, mit denen sie zu ersten Urlauben an die sonnige Adria fuhren. Das GWU bot seinen Mitgliedern nun Garagen zur Miete an, von denen es bis 1970 insgesamt 89 baute.

Kochnische von Frau Suhrke, Prinzenstraße 80

Führender Bauherr vor Ort

Eckernförde wandelte sich im Verlauf dieser Jahre zu einer immer größeren Baustelle. Im Norden und Süden wies die Stadt ständig neue Baugebiete aus. Führend beim Neubau von Wohnungen: das GWU. Mit Unterstützung von Stadt und Kreis sowie dem politischen Rückenwind aus Kiel und Bonn.

Im Stadtgebiet entstanden überwiegend zweckgebundene Wohnungen, um die Wohnungsnot der Flüchtlinge zu lindern. Anders in den Außenbezirken und Gemeinden rund um Eckernförde: Hier fand verstärkt Kleinsiedlungsbau statt, befördert von der Eigenheim-Politik unter Konrad Adenauer. Ganze 133 Kleinsiedlungen wurden bis 1970 in Gettorf, Groß-Wittensee, Karby, Loitmark, Neuwittenbek, Osdorf, Sehestedt und Windeby errichtet. Vom GWU und von den Siedlern in Selbsthilfe.

Graustufenbild vom Wohnzimmer von Professor Fakir Sehrstedter in der Landstraße 15.

Anpacken nach Feierabend

Als Beispiel für besonders engagierte Selbsthilfe erwähnte der „Baugenossenschaftsbote“ (so hießen die ECK.PUNKTE zu der Zeit) den Bau der Kleinsiedlung in Gettorf-Parkwinkel. Der Spatenstich für die 23 Häuser erfolgte am 1. Juli 1967. Das GWU fungierte als Bauherr. Das Besondere: einen großen Teil der Arbeiten führten die späteren Bewohner selbst aus! Unter fachkundiger Anleitung des Architekten Wolter arbeiteten sie abends und am Wochenende am Rohbau. Bis zum Winter hatten die Häuser ein Dach. Bezugsfertig waren die 5 Einzelhäuser und 18 Doppelhäuser Ostern bzw. Pfingsten 1968.

Graustufenbild eines Selbsthilfeprojekts ich Eckernförde.

Engagement macht Schule

Das Kieler Sozialministerium lobte den beispielhaften Charakter des Selbsthilfeprojektes. Mit seiner modernen inneren und äußeren Siedlungsgestaltung wurde es Vorbild für andere Siedler, die nach dem „Gettorfer Modell“ Eigentum schaffen wollten, auch außerhalb des GWU. In Gettorf-Parkwinkel selbst errichteten Siedler bis 1970 unter GWU-Regie 15 weitere Häuser.

Graustufenbild der Eigenleistung in Gettorf Parkwinkel 1967.

Wohnungen für Senioren

Erstmals im Neubauprogramm des GWU war Wohnraum speziell für Rentner. An den kleinen, ruhig gelegenen 1,5- bis 2,5-Zimmer-Wohnungen bestand zunehmendes Interesse älterer Mitglieder. Bewusst vermieden die Verantwortlichen dort die Unterbringung von Familien mit Kindern, um „Ruhe und Erholung für unsere älteren Mitglieder“ zu garantieren. Die Ausstattung war modern: Gasdurchlauferhitzer und eine zentrale Ölheizungsanlage, vollautomatische Waschmaschinen im Keller, Gemeinschaftsantennen für Fernsehgeräte.

Durch den Bau solcher „Rentner-Wohnungen“ verbesserte sich die Situation innerhalb von Familien, die oft noch mit zwei oder mehr Generationen zusammenwohnten. Außerdem wurden durch den Umzug von Senioren einige größere Wohnungen frei, die wiederum von Familien bezogen werden konnten.

Schlafzimmer von Daniel Brasch, Lornsenplatz 2

Vereinte finanzielle Kräfte

Neben dem Land Schleswig-Holstein beteiligten sich die Stadt und der Kreis Eckernförde mit erheblichen Mitteln an der Finanzierung dieser Bauvorhaben. Da die Baukosten inzwischen stark gestiegen waren, trugen künftige Mieter mit einem Mieterdarlehen von 2400 bis 3400 DM ebenfalls zur Finanzierung der Neubauten bei. Durch die rege Bautätigkeit entstanden große neue Wohnsiedlungen an den Rändern von Eckernförde und in den umliegenden Gemeinden.